Aus ‘Welt Online’ am 8.6.2009

Silbermädchen mit Hang zum Gold

Von Tatjana Pokorny 8. Juni 2009, 04:00 Uhr

Dreieinhalb Jahre nach dem Rücktritt greift Surferin Amelie Lux wieder an - Ihr großes Ziel ist der Olympiasieg in London

Hamburg - Es ist das Comeback des Jahres im olympischen Segelsport: Surferin Amelie Lux meldet sich zurück, “das Mädchen mit der Silbermedaille” ist wieder da. Dreieinhalb Jahre nach ihrem Rücktritt nimmt die 32-Jährige überraschend noch einmal Kurs auf Olympische Spiele - motivierter als jemals zuvor und voller Tatendrang.

Amelie Lux war der “Surffloh”, der Deutschland bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney/Australien ein kleines Sommermärchen schenkte und über Nacht zum Star wurde. Die 1,63 Meter kleine und zierliche Athletin gewann damals nach einem atemberaubenden Duell mit der späteren Olympiasiegerin Alessandra Sensini aus Italien Silber. Silber gewonnen und nicht Gold verloren, diese Einstellung brachte ihr einen Platz in den Herzen der Menschen, ihre bedingungslose Freude über Platz zwei rührte Millionen Fernsehzuschauer zu Tränen.

“Diese Medaille hat mein Leben verändert, ich bin viel selbstbewusster geworden”, sagt Lux, “bis heute bin ich für die meisten Menschen ‘das Mädchen mit der Silbermedaille’ geblieben. Das ist ein schönes Gefühl.” In ihrem Kopf laufen immer noch die Bilder des Finalrennens ab. Nicht die olympische Siegerehrung, sondern der große Kampf hat sich ihr eingeprägt und sie stark gemacht, obwohl sie ihn damals verloren hat.

So stark, dass sie es nach langjähriger Wettkampfpause noch einmal wissen will. Noch in diesem Jahr wird sie ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin abschließen, um sich dann wieder voll dem Leistungssport zu widmen. Die Entscheidung fiel im Winter auf der Kieler Förde. Nach Ausflügen in den Segelsport zog es Lux bereits im vergangenen September zurück aufs Surfbrett. Mit geliehenem Formel-1-Design-Testmaterial von Bundestrainer Diederik Bakker absolvierte Lux erste Einheiten im Heimatrevier. “Da habe ich gemerkt, dass ich einfach Athletin bin und auch wieder sein will”, berichtet sie, “die Arbeit an meinem Körper erfüllt mich.”

Wie vom Winde verweht scheinen die Zeiten, in denen Amelie Lux mit dem öffentlichen Erwartungsdruck haderte. Sie selbst ist sicher, in ihrer Wettkampfpause eine andere Einstellung zum Sport gefunden zu haben: “Der Abstand hat mir sehr gut getan. Ich habe gemerkt, dass ich mich gar nicht so stressen muss, wie ich mich manchmal gestresst habe.” Auch die körperlichen Belastungen des Hochleistungssports Surfen, die den Aktiven in leichten Winden das Kraft- und Ausdauervermögen von Ruderern abverlangt, schrecken Lux nicht ab: “Ich bin sicher, dass ich Schmerzen und Qualen heute viel gelassener begegnen kann.”

Ihren ersten spontanen Regattaeinsatz beim World Cup in Hyeres/Frankreich beendete sie überraschend erfolgreich als 13., im Weltklassefeld beim World Cup vor Medemblik/Niederlande reichte es trotz des gewaltigen Trainingsrückstandes zu Platz 16. Für Lux, die bis zu ihrem ersten Regattastart gerade einmal ein Dutzend Trainingstage auf dem neuen Olympiabrett RS:X absolviert hatte, sind die Resultate perfekter Motivationsschub und Mutmacher zugleich.

Viel Zeit für Training und Regatten lässt das Studium in Kiel ihr in diesem Jahr noch nicht. Trotzdem möchte sich die in Oldenburg geborene Jugendweltmeisterin von 1994 und 1995 am liebsten Mitte Juni bei der Europameisterschaft in Tel Aviv/Israel für den Kader des Deutschen Segler-Verbandes qualifizieren. Weil ihre Abschlussprüfung zur Physiotherapeutin auf dem Termin der Weltmeisterschaft Ende August liegt, bleibt Lux nur der EM-Titelkampf, um eine Grundförderung für das kommende Jahr zu erobern. Dafür muss sie auf die Teilnahme an der Kieler Woche verzichten, weil die Termine sich überschneiden. Und die Messlatte liegt hoch: In Israel muss Lux zu den Medaillengewinnern gehören, um die Kriterien zu erfüllen.

Die alte Amelie Lux hätte an dieser Stelle vielleicht gejammert oder kritisiert. Die neue zuckt nur mit den Achseln, lächelt und sagt: “Naja, dann haben wir ja gleich ein anständiges Ziel vor Augen.”

Das große Ziel liegt noch drei Jahre entfernt: die Teilnahme an der olympischen Regatta 2012 vor Weymouth in Großbritannien. “Mein Traum ist es natürlich, mit einem Sponsor in die nächste Saison zu gehen. Ich kann mir vorstellen, als Leistungssportlerin und Physiotherapeutin in ein Unternehmen zu gehen. Gesundheitsmedizin und Prävention werden immer wichtiger. Ich kann für solche Projekte als Leitfigur wirken, Programme erarbeiten und Mitarbeiter betreuen.”

Sie weiß aber, dass sie schnellstmöglich Leistung auf dem Wasser bringen muss, um sich Fördermittel aus Verbands- und Firmengeldern zu sichern. Sie will zeigen, dass sie es ernst meint mit der radikalen Wende in ihrem Leben. Mit klar formulierter Zielsetzung: “Ich will in London Gold gewinnen.”